Das «Kuleschow-Experiment»

Das «Kuleschow-Experiment»

  • Posted by Björn Maurer
  • On 20. Januar 2017

Montage ist mehr als die Summe ihrer Teile

von Björn Maurer
Zeitbudget: > 45 Minuten
Schwerpunkte: Film UND Theater
Sprachkenntnisse: Grundkenntnisse
Mehrsprachig: Nein
Gruppengröße: Ab 3 Personen

Lernziele

  • die Montage als gestalterisches Prinzip des Filmschaffens kennenlernen
  • anhand des «Kuleschow-Experiments» erkennen, dass durch Montage ein «Induktionseffekt» zwischen den einzelnen Einstellungen eintritt
  • erkennen, dass durch Montage gezielt manipuliert werden kann
  • Induktionseffekte selbst gezielt einsetzen und Störfaktoren im Bereich Continuity vermeiden

Überblick

Die Teilnehmenden erhalten den Auftrag vorhandenes Videomaterial mit eigenen Videoaufnahmen durch Montage so miteinander zu verbinden, dass es so aussieht, als handele es sich um eine zusammenhängende Videosequenz. Dabei nutzen sie den durch Montage erzeugten «Induktionseffekt», den sie zu Beginn der Übung anhand des Kuleschow-Experiments kennengelernt haben.

Vorausgehende Übungen

Voraussetzungen:

Keine

Materialien:

Keine

Vorbereitungen:

Die Übung «Das sieht ja aus wie echt» sollte vorab durchgeführt werden. Sie ist für die Umsetzung der Variation erforderlich.

Ablauf

Hinweis

Im Idealfall sehen die beiden Gruppen die Videos zeitgleich in zwei Räumen und werden am Ende wieder im Plenum zusammengeführt. Wenn das nicht möglich ist, erfolgt die Vorführung hintereinander. Die eine Hälfte der Gruppe verlässt dabei vorübergehend den Vorführraum.

Schritt 1: Das Kuleschow-Experiment

Die Teilnehmenden werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe bekommt ein kurzes Video vorgeführt, in dem zunächst eine Person mit neutralem Gesichtsausdruck, dann eine Orange in Nahaufnahme und am Ende wieder die Person zu sehen ist. Die Zuschauer werden im Anschluss gebeten, die Emotion zu beschreiben, die die Person im Film zum Ausdruck gebracht hat.

Die zweite Gruppe sieht ein Video mit derselben Person (gleicher neutraler Gesichtsausdruck). Statt einer Orange ist dazwischen die Aufnahme eines Smartphones mit zerbrochenem Display geschnitten. Auch diese Gruppe wird gebeten, die Emotion der Person zu ermitteln.

Die gemeinsame Auswertung findet dann im Plenum statt. Die erste Gruppe wird im Gesichtsausdruck der Person das Gefühl «Hunger» sehen, während die zweite Gruppe im Gesichtsausdruck eher «Trauer» liest. Nun werden beide Videos hintereinander gezeigt. Danach wird diskutiert, wie es sein kann, dass ein und dieselbe Einstellung so unterschiedlich wirkt.

Definition «Induktionseffekt»

Beim Induktionseffekt (auch als Kuleschow-Effekt bezeichnet) werden zwei nicht zusammengehörende Einstellungen so verknüpft, dass sich eine neue Gesamtaussage ergibt, die nicht in den Einzeleinstellungen enthalten ist.

Am Ende wird festgehalten, dass nicht nur die einzelnen Einstellungen für die Filmwirkung verantwortlich sind, sondern dass auch die Kombination der Einstellungen bei der Montage Einfluss auf die Bedeutung und die Wirkung von Filmen hat. In diesem Zusammenhang wird der Begriff «Induktionseffekt» eingeführt. Er steht für das Phänomen, dass sich die Wirkung einzelner Videoaufnahmen in Kombination verändern und an Bedeutung dazu gewinnen kann.

Schritt 2: Selbst Induktionseffekte erzeugen

Nun soll der Induktionseffekt in eigenen Videostudien angewendet werden. Hierfür bilden die Teilnehmenden Kleingruppen (3er-/4er Gruppen). Für Anfänger/innen bieten sich hier konkrete Vorgaben und Varianten an:

Ein eigenes Kuleschow-Emotionenvideo drehen

Diese Variante entspricht dem Kuleschow-Experiment in seiner Ursprungsform. Die Teilnehmenden wählen eine Person aus der Kleingruppe als Darsteller/in aus, die einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck mimen muss. Dieser Gesichtsausdruck wird in Nahaufnahme aufgezeichnet (ca. 5 Sekunden). Im Anschluss überlegt sich die Gruppe zwei verschiedene Situationen, eine Handlungen oder Filmgegenstände, die/der jeweils eine bestimmte Emotion hervorrufen sollen. Beide werden ebenfalls ca. 5-10 Sekunden aufgezeichnet und mit den Nahaufnahmen der Gesichter nach dem Muster «Gesicht – Gegenstand/Handlung/Situation – Gesicht» zusammenmontiert (direkt am Smartphone / Tablet via «iMovie» oder «KineMaster»).

Eine «Fake-Sight-Seeing-Tour» drehen

Die Teilnehmenden erhalten bereits gedrehtes Videomaterial von berühmten Sehenswürdigkeiten aus verschiedenen Städten der Welt. Dieses Material sollen sie nun mit selbst gedrehten Videos so montieren, dass es aussieht, als würde die Gruppe tatsächlich eine Tour durch eine Stadt unternehmen, in der alle vorgegebenen Sehenswürdigkeiten enthalten sind.

Schritt 3: Ergebnisse sichten

Bei der Sichtung der Aufnahmen wird darauf geachtet, ob oder inwieweit der Induktionseffekt tatsächlich eintritt bzw. was den Induktionseffekt stört.

Störende Faktoren können u.a. sein:

  • unterschiedliche Licht-, Farb- und/oder Tongestaltung
  • unpassende Anschlüsse zwischen den Einstellungen, fehlende Continuity
  • unterschiedliche Hintergründe, die sichtbar werden, wenn die Aufnahmen in weiten Einstellungsgrößen (z. B. Totalen oder Halbtotalen) gemacht werden.

Varianten

Hinweis

Dieser Auftrag kann als Vertiefung der «Das sieht ja aus wie echt»-Übung durchgeführt werden. Der Induktionseffekt ist eine weitere Möglichkeit, dem Gegenstand «Spielzeugauto» die Bedeutung «echtes Auto» zu verleihen.

Eine «Fake-Auto-Fahrt» drehen

Die Teilnehmenden erhalten typische Videoaufnahmen aus dem Inneren eines Fahrzeugs: Lenkbewegungen in Nahaufnahme, Close Ups am Schalthebel, die Tachonadel in Aktion, der Fuss auf Gas und Bremse, … Diese Aufnahmen sollen sie nun mit selbst gedrehten Aufnahmen eines Spielzeugautos so montieren, dass der Eindruck entsteht, es handele sich um ein echtes Auto, das von einer richtigen Person aus der Gruppe gefahren wird.

Bezüge zur Sprachförderung

Kompetenzfelder

Grammatik
Wortschatz

Grammatik: Hier bietet sich der Vergleich mit der Syntax der deutschen Sprache an. Bestimmte Wörter erhalten ihren Sinn erst im Kontext eines konkreten Satzes. Z. B.: «Der Schlüssel passt nicht ins Schloss». Hier erhält der Begriff «Schloss» seine spezifische Bedeutung erst durch die Verbindung des Verbs «passen» mit dem Substantiv «Schlüssel». Genauso verhält es sich beim Induktionseffekt, wenn sich die Bedeutung einzelner Einstellungen erst im Kontext einer Montage ergibt.

Wortschatz: Emotionsvokabeln können im Rahmen der Übungen aufgegriffen und wiederholt werden.

Bezüge Film- und Theaterpädagogik

Schauspiel

Emotionen

Emotionen: Das Kuleschow-Experiment basiert auf induzierten Emotionen. Für die Darsteller/innen ergibt sich dadurch die Herausforderung, emotional neutral zu agieren.

Filmgestaltung

Kamera
Montage
Tricks und Effekte

Kamera: Um überzeugende Induktionseffekte zu erzielen, müssen bspw. unerwünschte Hintergrundinformationen durch Naheinstellungen ausgeblendet werden. Die reflektierte Wahl der Einstellungsgrößen beim Dreh ist Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von Induktionseffekten.

Montage: Die Übung vermittelt Grundkonzepte der Filmmontage, die bei allen folgenden Filmproduktionen genutzt werden können. Der Induktionseffekt ermöglicht es den Filmschaffenden Effekte, Wirkungen und Bedeutungen zu erzielen, die ansonsten kaum filmisch umgesetzt werden könnten.

Tricks/Effekte: Der Induktionseffekt lässt sich als einfacher Filmtrick nutzen.

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